Jo Jastram – Rede zur Ausstellungseröffnung Renate Göritz
Galerie am Boulevard, Rostock, 1982

Liebe Renate!

Was lange währt – meint das gute alte Sprichwort wird endlich gut.
Nicht immer zutreffend, wie ich finde. Schließt es doch das Spontane fast aus, das Eruptive, von dem wir, allerdings auch wieder im Sinne des Sprichwortes wissen (zumal der Gärtner), daß eben auch das Spontane den geackerten Boden braucht, der gewachsenen Zwiebel die Kraft zu geben, damit der Lauch schießt!
Was hat das nun mit Renate Göritz zu tun? Einmal ganz einfach das, daß es lange dauerte, bis endlich nach manchem Planen und öfteren Verschieben nun doch heute wirklich und endlich diese schöne und anregende Ausstellung eröffnet werden kann. Und wie wir sehen mit großer Anteilnahme und gutem neugierigen Interesse.
Zum Zweiten das, daß die Arbeiten Renates keine schallenden Explosionen sind. In ökonomisch gebändigter Kraft läßt diese statisch anmutende Frau sich und ihren Bildern Zeit.
Sie entwickeln und verwandeln sich unter Ihren Händen und heben so im Gegenstand „Bild“ den Prozeß seines Entstehens auf.
Ihre Bilder sind so nicht festgeschriebene Ideen, nicht Aufgehobenes des einmal Gesehenen, sondern lebendige Gegenstände, Organismen.
Das hat Renate Göritz geschützt vor intellektueller Tüftelei oder eitlem Modernismus.
Auch jener gute Zeitgenosse, der die Bilderkunst ausschließlich als Bildbericht über Ereignisse, oder auch als Abbildung des Bekannten begreift, wird von Renate Göritz’ Arbeiten, Kompositionen, Collagen, Objekten oder Materialbildern berührt sein. Berührt sein von der Poesie und der Phantasie der Malerin, vielleicht, weil er Sinn für musikalische, klangliche Ordnung hat. Oder weil ihm nichtvorgedachte Wirklichkeit als andere Wirklichkeit zu entdecken Freude macht.
Sie macht es nicht jedem leicht, die Renate Göritz, sicher nicht.
Dabei ist sie ganz zuletzt angetreten uns zu verwirren, sondern es ist ihrem Wesen viel gemäßer, in der Fülle der sie umgebenden Formen, Farben und Strukturen verbindende Ordnung zu suchen, Klarheit und Verständigung zu erreichen und uns anzuregen, reicher und vertieft von ihren Bildern zu uns selbst zurückzukehren.
In der Ausstellung „Collagen in der Kunst der DDR“ (so hieß eine wichtige Ausstellung in der Nationalgalerie, Berlin, 1975) fielen erste Bilder von Renate Göritz auf. sehr klare, empfindsame, sparsame und musikalische Kompositionen.
Untersuchungen – vielleicht sogar disziplinierende Exerzitien – Prüfungen der Formen und Farbe auf die ihnen innewohnenden Kräfte und Inhalte. An das Bauhaus und seine Meister möchte man denken, vielleicht auch an Schwitters.
Später bei einem Besuch bei Göritzens in ihrem schönen kleinen Haus und Garten, wo kein Fleck ungestaltet ist, bei diesem Besuch also, wurde mir klar, daß das eine notwendige in des Wortes genauer Bedeutung – eine notwendige Arbeitsstrecke war.
Denn jetzt blühte es aus ihr heraus, weniger diszipliniert.
Die Bilder und Zeichnungen kamen in Bewegung, der Griff war größer und fester geworden, hinter den Bildflächen sammelten sich neue Energien und luden die reliefhaften Dimensionen auf.
Das, was ans zunächst an Bartok-Kompositionen, Maßigkeit und geraffte Ordnung denken ließ, wurde barocker, vitaler gefügt.
Neue Materialien Spielkarten, abgedruckte Textilien und anderes wurden in die Bilderstrukturen eingefügt.
Und nun die letzte, besser vorletzte Begegnung in der Berliner Kunstausstellung am Fernsehturm und hier.
Wieder eine ganz andere und neue Renate Göritz.
Verfeinerter wieder in den Strukturen und Zeichen, reicher in der Durchformung der Flächen, bewegt und dicht in den Abläufen und Veränderungen der Formen. Alles mit großer Intensität gearbeitete Bilder, die in keinem Detail oder Stückchen Bildraum ungefühlt oder gar oberflächlich abgeliefert sind – wieder sich erinnernd des vorher disziplinierend Gefundenen.
Machen Sie sich zu eigenem Gewinn die Mühe, die Blätter daraufhin zu prüfen!
Wir erinnern uns, nachdenklicher geworden, an die Zeit, als solche Kunstleistung als abstraktionistische Spielerei verworfen wurde.
Wir wollen froh sein, daß wir heute auch diese schöne und gute Art unserer Gesellschaft Kunst zu schenken nicht nur tolerieren, sondern zunehmend als Bereicherung unseres Weltbildes dankbar annehmen. Zumal das, was wir Vielfalt nennen, nur dann Wirklichkeit wird, wenn wir sie auch als VIELSPRACHIGKEIT verstehen.
Und eben auch das gehört zu Dir, Renate, daß Du in gerechter Unduldsamkeit gegen Spießertum, Flach- und Engherzigkeit nicht nur jede andere Kunstart tolerierst, sondern vergleichend und als Maß brauchst, wenn sie sich menschlich überzeugend an Dich wendet.
Solche Offenheit ist heute zu lernen.
So ist die Frage umsonst, ob diese Ausstellung für Dich und für uns zur rechten Zeit kommt. Gute und intensive künstlerische Leistung, schöne Bilder, sind zu jeder Zeit zur rechten Zeit da. Auch, wenn es wohl sicherlich stimmt, daß Zeitgeist und Zeitgeschmack einer bestimmten Kunsterscheinung gesteuert und zu- oder sinnfällig den Vorzug geben mag.
Wir wissen, daß das Dekorative zu jeder Kunst gehört – und wir gruseln uns, wenn das Dekorative allein Inhalt und Ziel eines Malers ist und sich zum Formelhaften verfestigt.
Deshalb können wir besten Gewissens darauf verweisen, daß hier nicht dekoriert wird, sondern mit kultivierter Phantasie und beglückender Sinnlichkeit und auch dem notwendigen Spaß an dem geistreichen und prüfenden Spiel mit der Form für Inhalte in des Wortes weitester Bedeutung Bildentsprechungen gesucht wurden oder bei der Bildung der Formen neue unerwartete Bildabenteuer entstehen. Ziemlich langweilig ist nur zu sagen, was der Angesprochene schon lange weiß.
Aufregender, ihn auf Entdeckungen auszusenden. Du schickst uns in das noch Unbekannte, Renate, voll des Neuen und Schönen.
Wer einmal einen Brief von Dir in den Händen hie1t, Briefe, die wie geschriebene Bilder sind, weiß, daß Deine Welt ohne Hinterhalt und Spekulationen ist.
Wir können Dir also gerne folgen.

Ich danke Dir, liebe Renate, für Deine Bilder, dem Galeristen, dem Walter und dem Publikum. Und ich wünsche Ihnen Freude und die Entdeckung dieser kraftvollen, gebildeten und gutherzigen Künstlerin.

Die Ausstellung ist eröffnet.

Rostock, 22. Februar 1982

Jo Jastram