Biografisches

Wo komme ich her, wohin gehe ich? Zwischen diesen beiden Fragen bewegen wir uns. Bemisst sich der Spielraum für das, was man Biografie nennt. Ich wurde 1938 im ostpreußischen Königsberg geboren, und fiel alsbald in einen Alptraum in den Farben Schwarz und Blutrot. Leider war dies kein Traum, sondern schreckliche Kriegswirklichkeit. Frauen und Kinder wurden auf dem letzten Schiff in Richtung Westen transportiert. Kein Empfang in Deutschland, sondern 2 Jahre Internierung auf einem ehemaligen Flugplatzgelände in Dänemark. Zu fünft in einem Barackenzimmer, wir mussten nicht hungern. 1947 gelangt meine Familie nach Schwerin und wird dort heimisch. Ich wachse also in Mecklenburg auf. Schwierige Nachkriegszeit. Not und Hunger. Eine traumatische Erfahrung. Ich gehe in Schwerin zur Schule. Mache mein Abitur. Schon früh aber bin ich gern mit mir allein. Träume. Denke nach. Erzähle mir was. Und gerate dabei fast automatisch ins Zeichnen, Schreiben, Kritzeln, Krakeln, Stricheln und Malen. Dieses Erbgut hat mir meine Mutter mitgegeben. Glücklicherweise ist sie es auch, die mich auf meinem sich abzeichnenden Weg in die „brotlose Kunst“ unterstützt. Diese Haltung ist bemerkenswert, noch dazu vor einem Familienhintergrund, der sich nicht gerade durch geistige und künstlerische Aktivitäten und Interessen auszeichnet. Ich studiere von 1958 bis 1963 in Berlin-Weißensee an der Kunsthochschule Grafik. Ich buchstabiere mich eifrig und ahnungslos durchs Alphabet bildender und angewandter Kunst, wie es halt das damalige Ausbildungsprogramm vorsah. Ich komme mit interessanten Leuten, mit der Weltkunst und, was mir besonders wichtig ist, mit der Kunst der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts in Berührung. Ich entdecke für mich die lebendige Kulturstadt Berlin Ost und West, bis zum Mauerbau. Viel vermag mir die Schule nicht zu geben. Aber ich begegne einem großartigen Lehrer: Ernst R. Vogenauer. Durch ihn beginne ich die Welt zum ersten Mal wohl mit meinen eigenen Augen zu sehen. 1963 ist mein Studium zu Ende. Ich bin erst ganz am Anfang. Ich falle ins Leben, pur und total. Ich habe mich meinem Partner Walter Göritz, ebenfalls mit einem frischen Diplom, ein Garten- und Landschaftsarchitekt, verbunden. Tatkräftig – und für mich wie jener sagenhafte griechische Atlas, der die Welt auf seinen unermüdlichen Schultern trägt. Wir bekommen nacheinander zwei Söhne. 1963 Steffen, der zukünftige Wissenschaftler, ein Hydrologe; noch in der schäbigen Ladenwohnung im Prenzlauer Berg. 1965 Daniel, den zukünftigen Musiker und Hochschullehrer; schon in unserem neuen Zuhause. Hurra – am Rande Berlins mit verwildertem Garten und ausbaufähigem Holzhaus. Die folgenden Jahre sind in jeder Hinsicht schwierig, kompliziert, anstrengend. Wir sind eine Familie mit viel Phantasie und Tatkraft, aber wenig Geld. Wir basteln und zimmern uns mit unseren eigenen – nicht ungeschickten – Händen eine gemeinschaftliche Lebensform, in der wir uns mit unseren Kindern wohlfühlen können. In jenen Jahren fühle ich mich oftmals überfordert. Ich sehe mich künstlerisch nicht produktiv genug. Ich bin unruhig, unsicher, unzufrieden, obwohl ich angestrengt auf der Suche bin. Aber ich suche nicht zielgerichtet, sondern tastend und intuitiv. Zeitweilig überlasse ich mich mit Haut und Haar der geradezu verwirrenden Vielfalt unterschiedlichster geistiger und künstlerischer Äußerungen aus Vergangenheit und Gegenwart, oder ich begebe mich in eine Art innere Klausur, wo ich versuche, zu mir selbst zu gelangen. Mit dem Heranwachsen und Selbständigwerden der Kinder und dem wechselseitigen Sichlösen und Loslassen gewinne ich, langsam und mühsam, ständig etwas mehr Spiel- und Bewegungsraum für mich. Ich arbeite bewusster. Stelle gelegentlich meine Bilder aus. Und weiß nun auch allmählich, dass ich produktiv unterwegs bin. Zu mir und zur Welt. Ich werde immer sicherer, freier und ungezwungener im Umgang mit den Mitteln und Materialien, mit deren Hilfe ich ausdrücken kann, was ich ausdrücken will und muss. Bis zum heutigen Tag – und hoffentlich noch lange Zeit – sehe ich mich in dieser Weise auf dem Weg. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, auf mich zu vertrauen. Ich bin davon überzeugt, dass mir sogar Flügel wachsen werden, wenn die Zeit reif ist dafür. Was ich als meine Sache ansehe? Es geht mir um das Sichtbarmachen des widersprüchlichen Wesens und der überquellenden Vielfalt des Lebens, ums Aufspüren verborgener Geheimnisse in den Abgründen unserer Seelenlandschaften, um das Spiel der Wellen auf dem endlosen Fluss unserer Phantasien mit ihren Spiegelungen der Spiegelungen der Spiegelungen…

Ich sehe keine Notwendigkeit diese Suche neu zu interpretieren…

(aus dem Jahr 1990, ergänzt 2020)